Interview mit Isabel Morelli: „Dank der guten Alternativen sind wir heute auf eine hormonelle Verhütung nicht mehr angewiesen“

„Da sich leider die wenigsten Frauen mit dem Beipackzettel beschäftigen, leben sie oft sehr lange mit Beschwerden, die sie niemals mit der Antibabypille in Verbindung bringen würden.“ Durch ihre Arbeit und ihren Blog Generation-Pille.com ist Isabel Morelli täglich mit den Auswirkungen konfrontiert, „die diese eine täglich eingenommene kleine Tablette auf das Leben einer Frau haben kann“. Ein Gespräch mit Isabel Morelli, selbst Betroffene und Autorin des Buches „Kleine Pille, große Folgen“.

Die sogenannte „Antibabypille“ oder kurz „Pille“ ist das am meisten kontrovers diskutierte, aber auch erfolgreichste Medikament. Was sind die Gründe dafür?

Isabel Morelli: Der große Erfolg lässt sich meiner Meinung nach ganz einfach erklären. Die Pille kam zu einer Zeit auf den Markt, in der die eigene Fruchtbarkeit für Frauen noch eine ernstzunehmende Gefahr war und es keine sicheren Alternativen gab. Vor Markteinführung der ersten oralen Kontrazeptiva ging man mit Sexualität und Verhütung noch völlig anders um als heute. Es waren Tabuthemen. Die Welt war konservativ, uneheliche Schwangerschaften waren unvorstellbar und Abtreibungen illegal. Frauen haben sich unmenschliche Dinge angetan, um heimlich Schwangerschaften abzubrechen.

Beste Voraussetzungen also, um eine medikamentöse Lösung dafür auf den Markt zu bringen. Selbstverständlich wurde diese von der Frauenwelt jubelnd angenommen. Mit der Pille verschwanden in Ermangelung anderer Optionen die Probleme der damaligen Frauen. Seither wird diese Form der Verhütung sehr gut beworben. Andere Verhütungsmittel, die mit den Jahren dazu kamen, weiterentwickelt und erforscht wurden, schafften es einfach nicht in die öffentliche Wahrnehmung. Sie waren nicht so präsent, wurden auch nicht so stark beworben oder empfohlen und tauchen bis heute nicht vollständig in der Facharztausbildung der Gynäkologen auf. So bleiben der Erfolg der Antibabypille und natürlich der Irrglaube, man könne ohne Beteiligung synthetischer Hormone nicht sicher verhüten, bestehen. Außerdem wird auch die Zielgruppe fleißig ausgebaut, indem man die Pille beispielsweise als Life-Style-Medikament jungen Mädchen verschreibt, die zwar nicht verhüten, aber schöne Haut und Haare haben wollen.

Die kontroverse Diskussion entsteht eigentlich immer dann, wenn die Schattenseiten der hormonellen Verhütung zum Vorschein kommen. Wie alle Medikamente sind auch orale Kontrazeptiva nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Im Gegenteil. Seit der Markteinführung wurden die Auflistungen der möglichen, teilweise gefährlichen und lebensbedrohlichen Beschwerden im Beipackzettel immer länger. Es stellt sich also die Frage: Muss man das als Frau in der heutigen Zeit noch in Kauf nehmen, um sicher zu verhüten?

Seit der Markteinführung vor fast 60 Jahren wird vor den Risiken und Nebenwirkungen der Pille gewarnt. Welche sind dies, und warum hat man es nicht geschafft, diese in den Griff zu bekommen?

Isabel Morelli: Ich denke, die bekanntesten Risiken sind spätestens seit der massiven medialen Kritik 2015 so gut wie bei allen Frauen angekommen, wie beispielsweise das erhöhte Risiko für Thrombosen und Lungenembolien. Anstoß für die vielen negativen Schlagzeilen war der Gerichtsprozess einer jungen Dame, die den Pharma-Riesen Bayer aufgrund einer Lungenembolie, die sie durch die Einnahme der Antibabypille erlitt, verklagte.

Die Liste der möglichen Nebenwirkungen von Antibabypillen ist so lang wie „unterschiedlich“. Gefühlt gibt es so gut wie keine Beschwerde oder körperliche Veränderung, die nicht durch die Einnahme der Pille entstehen kann. Ganz getreu dem Motto „alles kann, nichts muss“ liest man von neurologischen Beschwerden wie z. B. Schwindel, Sehstörungen und Benommenheit sowie gynäkologischen Symptomen wie dem Ausbleiben der Regel, Zwischenblutungen oder Zysten. Je genauer man sich einen Beipackzettel ansieht, desto schneller wird einem klar, dass so gut wie jedes Organ, fast jede Stelle des Körpers und auch die Psyche von potentiellen Nebenwirkungen betroffen sein kann. Da sich leider die wenigsten Frauen mit dem Beipackzettel beschäftigen, leben sie oft sehr lange mit Beschwerden, die sie niemals mit der Antibabypille in Verbindung bringen würden.

Durch meine Arbeit, den Blog und die daraus entstandene Community bin ich täglich mit den enormen Auswirkungen konfrontiert, die diese eine täglich eingenommene kleine Tablette auf das Leben einer Frau haben kann. Wenn ich die Nebenwirkungen benennen müsste, die mir am häufigsten berichtet werden, wären es wohl an erster Stelle die psychischen. Angefangen beim Verlust der Libido über Stimmungsschwankungen bis hin zu ausgeprägten Depressionen und Panikattacken. Was leider alle Betroffenen gemein haben, ist, dass sie sehr lange gebraucht haben, um den Ursprung ihrer Beschwerden zu finden.

Ihre persönliche und leidvolle Erfahrung mit dem hormonellen Verhütungsmittel hat zu einer intensiven Beschäftigung mit seiner Geschichte und Wirkungsweise geführt, von der jetzt auch andere Betroffene profitieren. Was haben Sie mit der Pille erlebt, und was würden Sie Frauen raten, die sie absetzen wollen?

Isabel Morelli: Wie viele Frauen meiner Generation bekam ich die Pille bereits kurz nach Eintritt meiner ersten Menstruation verordnet. Mit 13 Jahren war ich natürlich noch sehr weit davon entfernt, an Verhütung zu denken, aber ich wollte etwas gegen die schmerzhafte Periode unternehmen. Geht man mit dieser Absicht zum Gynäkologen, verlässt man meist nach kurzer Zeit mit dem ersten Pillenrezept die Praxis. Es folgten acht Jahre der täglichen Einnahme dieser kleinen unscheinbaren Pillen. In dieser Zeit musste ich häufiger das Präparat wechseln, denn von einem bekam ich schlimme Pickel, vom nächsten nahm ich ein paar Kilo zu, und auch die nachfolgenden brachten immer die ein oder andere Nebenwirkung mit sich. Mit 21 Jahren entschloss ich mich dann, die Einnahme zu beenden. Meine Geschichte beginnt eigentlich erst mit dem Absetzen. Ich hatte die Pille so früh genommen, dass mein Körper nie richtig „lernen“ konnte, wie ein natürlicher Zyklus funktioniert. So kam es nach dem Absetzen auf einmal zu diversen hormonellen Problemen, die über viele Jahre nicht richtig ernst genommen oder nur sehr oberflächlich behandelt wurden. Angefangen bei einer Schilddrüsenunterfunktion über Nebennierenfunktionsstörungen, Amenorrhoe, PCOS bis hin zu postmenopausalen Hormonwerten blieb ich vor nichts verschont. Das kostete mich nicht nur viel Geld, sondern auch zahllose Arzttermine, Behandlungsversuche, Fehldiagnosen und jede Menge Nerven, um zurück zu einem wirklich gesunden Zustand zu finden. Weder ich noch meine Ärzte hatten berücksichtigt, dass die frühe und lange Einnahme der Antibabypille in meinem Körper jede Menge verbrannter Erde hinterlassen hatte.

Heute weiß ich natürlich, was ich damals hätte beachten müssen, und das ist genau das, was mir auch fünf Jahre nach dem Absetzen noch geholfen hat, nämlich die ganzheitliche Betrachtung der potentiellen Ursachen. Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass die Pille einen enormen Einfluss auf Leber, Darm, Schilddrüse, Nebennieren und Vitalstoffe hat, und dieses Wissen sollte genutzt werden. Genau das würde ich auch jeder Frau raten, die die Pille absetzen möchte oder bereits abgesetzt hat.

Solange es Menschen gibt, hat man versucht, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern. Aber erst die hormonelle Verhütung scheint die erfolgreichste Methode zu sein. Stimmt das wirklich? Und welche Alternativen gibt es heute?

Isabel Morelli: Es mag sein, dass die Pille in der Zeit, in der sie auf den Markt kam, die sicherste Verhütungsmethode war. Heute sind allerdings diverse hormonfreie Verhütungsmethoden auf dem Markt, die mindestens genauso sicher sind wie die Antibabypille, wenn nicht sogar sicherer. Meiner Meinung nach gibt es heutzutage eine so große Auswahl, dass wirklich jede die für sich passende Methode finden kann. Leider hat sich die Pille im Laufe der Jahre so gut etabliert, dass viele andere Methoden in der öffentlichen Wahrnehmung einfach auf der Strecke geblieben sind. Barrieremethoden wie Kondom oder Diaphragma und auch die Verhütung mit der Symptothermalen Methode sind zwar in ihrer Sicherheit sehr von ihren Nutzern abhängig, bei korrekter Anwendung aber alle sehr sicher. Die Kupfervarianten wie Kupferspirale, -kette oder -ball schlagen mit ihrer Sicherheit auch die Pille.

Der gern zitierte Pearl-Index stellt nur eine Rechenmethode dar und ist abhängig davon, mit welchen Daten die Rechnung ausgeführt wird. Tatsächlich wird dieser Index innerhalb der wissenschaftlichen Erforschung von Verhütungsmethoden schon seit Jahren nicht mehr angegeben. Mittlerweile zählen nur Methoden- und Anwendersicherheit.

Die Methodensicherheit belegt die maximal mögliche Sicherheit einer Verhütungsmethode. Diese ist aber nur bei durchgehend 100 % korrekter Anwendung gegeben! Keine Fehler, keine Störfaktoren, kein Vergessen, keine anderen Medikamente, nicht mal eine Erkältung – alles kann die Sicherheit vermindern. Die Anwendersicherheit belegt die reale Sicherheit im durchschnittlichen alltäglichen Leben. Betrachtet man beide, hat man einen guten Überblick darüber, wie sicher eine Methode theoretisch sein kann und wie sie sich im Alltag bewährt.

Lässt sich eine Verhütungsmethode für alle Frauen empfehlen oder wird individuell angepasst und kombiniert?

Isabel Morelli: Verhütung ist ein sehr individuelles Thema. Jede Frau sollte sich gemeinsam mit ihrem Partner überlegen, welche Verhütungsmethode am besten passt. Für einige ist die Kupferspirale eine tolle Methode, weil sie sich nach der Einlage für ein paar Jahre um nichts mehr kümmern müssen. Bei anderen löst die Vorstellung eines Fremdkörpers im Uterus eher Unbehagen aus. Ebenso verhält es sich mit der natürlichen Verhütung. Es gibt viele Frauen, die es toll finden, ihren Zyklus zu beobachten, dabei ihren Körper besser kennenzulernen und voll verantwortlich für ihre Fruchtbarkeit zu sein, während andere absolut keine Lust auf das tägliche Temperaturmessen und die Beobachtung ihres Zervixschleims haben. Es ist also eine Typfrage. Wichtig ist am Ende nur, dass sich die Frau und auch ihr Partner mit der Entscheidung wohl und sicher fühlen. Gibt einem die Verhütungsmethode ein sicheres Gefühl, wirkt sich das auch positiv auf das Sexleben aus.

Die meisten Frauen wissen gar nicht, welchen Gefahren sie sich mit der hormonellen Verhütung aussetzen, weil sie sich kaum mit dem eigenen Körper und insbesondere mit dem Zyklus beschäftigen. Was sollte man unbedingt darüber wissen, und wie funktioniert die Pille überhaupt?

Isabel Morelli: Hormone sind die Dirigenten unseres Körpers. Den meisten Frauen ist leider nicht bewusst, welche Tragweite der Einfluss der Hormone auf die physische und psychische Gesundheit hat. Mittels Pille wird der natürliche Zyklus abgeschaltet, das Zusammenspiel unserer körpereigenen Hormone gestoppt und durch synthetische Hormonersatzstoffe ersetzt. All die positiven Eigenschaften, die die weiblichen Sexualhormone auf unsere Gesundheit und Psyche haben, fallen aus. Mal abgesehen von der Vielzahl an Nebenwirkungen, die in jedem Beipackzettel zu finden sind, lässt sich nicht abstreiten, dass ein Eingriff in den Menstruationszyklus immer ein Eingriff in das gesamte Hormonsystem ist. Außerdem können beispielsweise auch Leber und Darm in Mitleidenschaft gezogen werden und der Vitamin- und Mineralstoffhaushalt leiden. Nimmt man all das zusammen, dann ist der Preis für die vermeintlich sichere Verhütung einfach zu hoch. Gerade in der heutigen Zeit sind wir durch die ausgezeichneten Alternativen auf hormonelle Verhütung nicht mehr angewiesen.

Für viele Mädchen sind Pubertät und Erwachsenwerden gleichbedeutend mit der Einnahme der Pille, die geradezu als Lifestyle-Medikament gilt. Was hat zu dieser Entwicklung geführt, und was gehört für Sie zu einer echten „Aufklärung“?

Isabel Morelli: Eine der Hauptursachen hierfür ist der Mangel an richtiger Aufklärung und ein nicht vorhandener Bezug zum eigenen Körper bei jungen Mädchen und Frauen. Fehlendes Wissen ist aber nicht nur ein Problem, das das weibliche Geschlecht betrifft, sondern auch Lehrer, Eltern, Schulen, Beratungsstellen, Männer und teilweise sogar Gynäkologen. Das Problem beginnt in der Schule mit gemischten Klassen während des Sexualkundeunterrichts, Lücken in den dazugehörigen Lehrplänen und einem Zeitmangel, der mit dazu führt, dass das Thema Verhütung und Körperwissen in Schulen nach wie vor unterrepräsentiert ist.

Da auch Gynäkologen, insbesondere Kassenärzte, weder Zeit noch Kapazitäten für Aufklärung und ausführliche Gespräche haben, sind auch die Teenager-Sprechstunden wenig hilfreich. Würden diese speziellen Sprechstunden dazu dienen, die Mädels an die Hand zu nehmen und ihnen genau zu erklären, was sie in der Pubertät körperlich erwartet, was sich verändert und wie der weibliche Zyklus funktioniert, wäre ich ein großer Fan. Allerdings laufen diese Termine, die oft kurz nach Eintritt der ersten Periode erfolgen, in den meisten Fällen leider nicht so ab. Wenn zu dem fehlenden Wissen gerade bei jungen Mädchen noch der enorme Druck nach der perfekten Optik hinzukommt, wirkt die Pille sehr verlockend. Zumal die verschiedenen Hersteller sich auch größte Mühe geben, genau diese Vorteile des Medikamentes in ihrer Kommunikation hervorzuheben.

Meiner Meinung nach müsste das Thema „Aufklärung“ auf allen Ebenen überdacht werden. Angefangen bei den Lehrplänen und der Gestaltung des Unterrichts über ausführliche Informationsabende für Eltern, wirklich guten Anlaufstellen für Frauen und Mädchen allen Alters bis hin zu Aufklärungssprechstunden bei Frauenärzten. Wir haben noch viel Arbeit vor uns und auch noch einiges aufzuholen, doch ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.

Buch-Tipp:
Isabel Morelli: Kleine Pille, große Folgen. Wie Hormone dich krank machen. Regenerieren und hormonfrei verhüten. Mankau Verlag 2018, Klappenbroschur, 13,5 x 21,5 cm, 191 Seiten, 16,90 € (D) / 17,40 € (A), ISBN 978-3-86374-490-8.

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