„Die Kunst des Sehens – lebendiger, schärfer, kontrastreicher und farbenfroher – lässt sich mit einfachen Übungen trainieren!“

Interview mit dem Diplom-Pädagogen und Sehtrainer Wolfgang Hätscher-Rosenbauer zu "Kleine Augenschule"

„Mit den Übungsmodulen der Augenschule können Sie Ihre persönliche Sehfähigkeit stärken und auf alle Sehfunktionen und Sehqualitäten hin optimieren. Wenn Sie Ihre beiden Augen bewusst wahrnehmen und achtsam mit ihnen umgehen und üben, werden alle am Sehvorgang beteiligten Ressourcen des Gehirns aktiviert. Sie werden neue Seherfahrungen genießen können, die auch alle anderen Sinne beleben.“

Der Sehtrainer Wolfgang Hätscher-Rosenbauer, Autor des Kompakt-Ratgebers „Kleine Augenschule“, hat ein Übungsprogramm in acht Modulen entwickelt: Die Augenschule vermittelt ein natürliches, optimales Sehverhalten, stärkt die vorhandenen Sehfähigkeiten, entspannt und regeneriert angestrengte Augen und hilft, eine Vereinseitigung des Sehens und Überlastung der Augen zu vermeiden oder zu überwinden.

Das sogenannte Medienzeitalter hat dazu geführt, dass immer mehr Informationen visuell vermittelt und verarbeitet werden müssen. Welche Auswirkungen hat dies auf die Augen und das Sehen des Menschen?

Hätscher-Rosenbauer: Betrachten wir die evolutionäre Entwicklung des menschlichen Sehens, blicken wir erst seit sehr kurzer Zeit gewohnheitsmäßig so lange Zeit angestrengt auf kleine Monitore im Nahbereich, wie Smartphones, Tablets, Notebooks und PCs. Dabei kommt es schnell zur Ermüdung der Augen, zu brennenden und trockenen Augen und zu nachlassender Sehkraft. Nach neuesten Statistiken sind weltweit 90 Prozent der Jugendlichen in Großstädten kurzsichtig. Das kann nicht an den Genen liegen, sondern kommt von den Sehgewohnheiten.

Die „Augenschule“ will die jeweils persönlich vorhandene Sehfähigkeit – seien es geringe Sehreste auf der einen oder „Adleraugen“ auf der anderen Seite – stärken und auf alle Sehfunktionen und Sehqualitäten hin optimieren. Was ist der Vorteil gegenüber herkömmlichen „Sehhilfen“?

Hätscher-Rosenbauer: Herkömmliche Sehhilfen wie Brillen und Kontaktlinsen korrigieren die Sehschärfe bei Fehlsichtigkeit ausschließlich optisch-mechanisch. Sie helfen nicht dabei, erschöpfte Sehkraft zu regenerieren und ein angestrengtes, starres Sehverhalten aufzulösen. Wenn das aber nicht geschieht, ist häufig auch trotz Sehhilfe eine weiter voranschreitende Fehlsichtigkeit die Folge. Die Augenschule möchte ein von der Natur vorgesehenes, optimales Sehverhalten vermitteln, das alle vorhandenen Ressourcen des Sehsinns stärkt, um auf diese Weise eine – auch kulturell und durch den Zeitgeist bedingte – Vereinseitigung des Sehens zu vermeiden und zu überwinden.

Die Augenschule ist ein ganzheitliches Gesundheitsförderungsprogramm des Sehsinns, das auf über 30 Jahren Erfahrung mit Augentraining und wissenschaftlicher Forschung beruht. Was war die anfängliche Motivation für diesen Ansatz und welche Erkenntnisse wurden dabei erzielt?

Hätscher-Rosenbauer: Die anfängliche Motivation zu diesem Ansatz war eine persönliche Erfahrung: Während einer mehrmonatigen Reise konnte ich meine im Verlauf von 20 Jahren entstandene starke Kurzsichtigkeit drastisch verringern und meine Sehfähigkeit enorm verbessern, indem ich die Sehhilfen wegließ und Erfahrungen mit Sehtraining sammelte. Im Forschungsprojekt „Arbeit und Sehen“ des BMFT, an dem ich in den 1990er Jahren mitwirkte, konnte belegt werden, dass durch einen ganzheitlichen Ansatz der Sehschulung viele Beschwerden, die im Zusammenhang mit hohen Anforderungen an die Sehfähigkeit – z.B. bei Bildschirmarbeit – entstehen, vermindert oder vermieden werden können. Dies führte dazu, analog zur bereits bekannten Rückenschule im Rahmen der Gesundheitsförderung auch eine ganzheitliche Augenschule einzuführen.

Das menschliche Auge ist ein äußerst komplexes Organ und der eigentliche Sitz des Sehvorgangs ist das Gehirn. Welche Voraussetzungen sind nötig, um das Sehen dennoch als eine „Kunst“ zu verstehen, die erlernt werden kann?

Hätscher-Rosenbauer: Der eigentliche Sehvorgang findet im Gehirn statt, nicht in den Augen. Wir sehen nicht mit den Augen, sondern durch die Augen. Das Gehirn organisiert den Sehvorgang sowohl passiv – durch evolutionäres Wissen –, als auch aktiv durch unsere gerichtete Aufmerksamkeit. Es verwendet dazu die Ressourcen, die benötigt werden, um eine Aufgabe zu erledigen oder ein Interesse zu befriedigen. Wer z.B. daran interessiert ist, sich ein neues Auto zu kaufen, der wird überall dieses Auto sehen; wer schwanger ist, sieht überall Schwangere. Wer nur nach vorne blickt, aktiviert nur seine zentrale Sehfähigkeit und nicht die periphere. Wem Farben wenig bedeuten, sieht diese nicht so intensiv wie jemand, bei dem sie Gefühle auslösen usw.

Wenn wir lernen, bewusster mit unserem Sehen im Alltag umzugehen, wenn wir die Augen als Teil unseres Körpers begreifen, ihre optimale Beweglichkeit fördern, das ganze Gesichtsfeld aktivieren, die Beweglichkeit der inneren Augenmuskeln (Pupillenreflex und Linsenmuskulatur) fördern, wenn wir uns bewusst sind, dass wir zwei Augen zum Sehen haben, und diese auch beide dazu benutzen, wenn wir die Lebendigkeit der Farben um uns herum wahrnehmen und auf unsere Träume und inneren Bilder achten – dann fordern wir unser Gehirn dazu heraus, alle am Sehvorgang beteiligten Ressourcen zu mobilisieren. Wir vermeiden, dass manche Sehfunktionen – beispielsweise die zentrale Sehschärfe beim Lesen – überfordert, die periphere Wahrnehmung über den Tag hin aber unterfordert wird.

Wenn mir beispielweise bewusst ist, dass ich vier Stunden am Tag vor Monitoren auf abstrakte Zeichen geblickt habe, dann sollte ich zum Ausgleich vielleicht in die Natur gehen und meine Blicke über Farbfelder schweifen lassen. Dazu brauche ich dann keine aufs Detail hin fokussierende Brille, sondern erfreue mich auch an der Schönheit verschwommen gesehener Farben. Als Kunst empfinden wir etwas, das uns im Inneren berührt. Die Kunst des Sehens erlernen heißt, diese „Durchlässigkeit“ ab und zu bewusst herzustellen, sich im Innersten berühren zu lassen von Dingen, die man außen sieht, und offen zu sein für diese Dinge, etwa die Schönheit eines Sonnenuntergangs oder das Lächeln eines Kindes.

Die persönliche Sehfähigkeit ist von der jeweiligen körperlichen, geistigen und seelischen Verfassung abhängig. Welche Vorgänge sind hier einflussreich?

Hätscher-Rosenbauer: Sind wir denn überhaupt in der Lage, unseren Sehvorgang als ganzheitliches Phänomen zu begreifen? Das ist eine große Herausforderung. Viele Sehprobleme entstehen zum Beispiel über Nacht: Da die Augen beim Träumen mit allen Muskelbewegungen aktiv sind (sog. REM-Phasen), wachen Menschen in Zeiten von seelischem oder geistigem Stress oft mit geröteten, erschöpften Augen auf und wundern sich, woher das kommt. Lässt die Sehkraft nach oder treten Augenerkrankungen auf, lohnt es sich, auch seelische und geistige Ursachen in Erwägung zu ziehen, auf seine Träume zu achten (diese bieten oft Lösungsmöglichkeiten an) und die Augen vor dem Einschlafen gründlich zu entspannen.

Die Augenschule besteht aus acht Modulen, die aufeinander aufbauen und als Übungen in den Alltag integriert werden können. Was wird hier im Einzelnen trainiert und welche Möglichkeiten gibt es, die eigene Sehfähigkeit zu verbessern?

Hätscher-Rosenbauer: Ich möchte Training hier gern im Sinne des englischen Begriffs to train = lernen, entwickeln begreifen und die Übungen als Möglichkeit, interessante Aspekte oder Qualitäten des Sehens zu erleben, die die Wahrnehmung bereichern. Denn dann werde ich dieses Erleben gerne öfter wiederholen, und irgendwann wird das, was als Übung begann, zur lieben Gewohnheit. Ich sehe Üben also als Möglichkeit, das Erleben zu erweitern, neue Erfahrungen zu machen. Je ergebnisoffener jemand beginnt, desto spannender wird es. Jedes Modul strebt eine Erfahrungserweiterung einer mit dem Sehvorgang verbundenen Sehqualität an. Wenn ich diese erlebe, wird sie mir bewusst, und ich achte auf sie. Gehe ich dann achtsam mit ihr um, steigert sie sich. Wenn ich nicht mehr auf sie achte, schleicht sie sich wieder aus meiner Wahrnehmung heraus, und ich falle in meine alte, begrenzte, starre Wahrnehmungsweise zurück. Aber ich kann die Sehqualität in der Folge erneut und leichter als zuvor aktivieren – so geschieht der Lernprozess.

Im ersten Modul werden die Augen als Teil des Körpers bewusst gemacht, der nur in optimaler Verbindung mit dem Körper optimal funktionieren kann.

Im zweiten Modul wird die optimale Beweglichkeit der Augenmuskeln angeregt. Nur völlig entspannte Augenmuskeln sind optimal beweglich, nur Augen mit optimal beweglichen Augenmuskeln sehen gut.

Das dritte Modul zeigt, dass das Gesichtsfeld sehr, sehr weit offen sein kann und die peripheren Wahrnehmungsbereiche ganz außen für die Vernetzung mit allen anderen Sinnen zuständig sind. Ich aktiviere also auch alle anderen Sinne durch Achtsamkeit auf die Peripherie und meine räumliche Umgebung.

Im vierten Modul kommt die Beweglichkeit des Blickens in die Nähe und in die Ferne ins Spiel. So bleiben die Augenlinsen elastisch und klar, möglichst ein Leben lang.

Im fünften Modul geht es um das optimale Zusammenspiel des Blickens durch beide Augen und um die räumliche Wahrnehmung, die nur mit beiden, harmonisch zusammenwirkenden Augen möglich ist.

Im sechsten Modul wird der Farbensinn aktiviert und damit auch der Sinn für sinnliches und energievolles Sehen. Der Begriff „Sehkraft“ wird ebenfalls mit der Leuchtkraft der Farben in Verbindung gebracht. Beleben wir unsere Farbwahrnehmung, bringen wir uns auch mit inneren kreativen Quellen in Verbindung.

Im siebten Modul machen wir uns bewusst, dass der Sehsinn in beide Richtungen – nach außen wie nach innen – aktiv ist. Ohne bildhaftes Gedächtnis könnten wir uns an Gesehenes nicht erinnern, ohne bildhafte Fantasie keine Erfindungen machen und keine Probleme lösen. Wie oft haben wir als Kind den Satz gehört: „Das bildest du dir nur ein“, als sei das nichts wert! Dabei ist unsere Einbildungskraft unser größter Schatz.

Und das achte Modul behandelt die Alltagstauglichkeit des bisher Erlebten sowie die Erfindung und Etablierung nützlicher Gewohnheiten für gesundes Sehen.

Was ist eigentlich dran an den Empfehlungen, die man als Kind so oft gehört hat, z. B. „Karotten sind gut für Augen“ oder „schlechtes Licht beim Lesen verdirbt die Augen“?

Hätscher-Rosenbauer: Ja, Karotten sind Lieferanten von Provitamin A, das die Augen reichlich brauchen (wenn wir in Lichtquellen wie PCs gucken, umso mehr) – aber es gibt, wie im Buch beschrieben, auch noch andere leckere Vitamin-A-Träger.

Und ja, schlechtes (d.h. schwaches) Licht beim Lesen schwächt die Augen. Die Augen brauchen beim Lesen ausreichend helles Licht und ab und zu Dunkelpausen (mit Handflächen bedecken), da der Sehfarbstoff in den Stäbchen und Zapfen nur in vollkommener Dunkelheit regeneriert. Nach einer Minute Dunkelbaden sieht man dann wieder kontrastreicher – probieren Sie es aus.


Buch-Tipp:
Wolfgang Hätscher-Rosenbauer: Kleine Augenschule. Übungen und Tipps für gesundes und lebendiges Sehen. Kompakt-Ratgeber, Mankau Verlag, 1. Auflage November 2016, Klappenbroschur, farbig, 127 Seiten, 7,99 Euro (D) / 8,20 Euro (A), ISBN 978-3-86374-314-7.

Link-Empfehlungen:
Mehr Informationen zum Kompakt-Ratgeber "Kleine Augenschule"
Zur Leseprobe im PDF-Format
Mehr zum Autor Wolfgang Hätscher-Rosenbauer
Zum Internetforum mit Wolfgang Hätscher-Rosenbauer


Passende Artikel