Vom ambitionierten Missionar zum desillusionierten Kirchenkritiker: Interview mit Bernward Mankau

„Seit meiner Jugend wollte ich in die Mission, in der Überzeugung, dass der christliche Glaube in die Welt getragen werden müsse. Aber im Kongo habe ich eine Kirche erlebt, der es nur um Macht und Machterhalt ging und die sich auch nicht gescheut hat, mit repressiven Regierungen zu kollaborieren.“ Nach seinen Erfahrungen in der afrikanischen Mission hat sich Bernward Mankau, Autor des Buchs „Blindflug“ aus dem Herder Verlag, in den Laienstand zurückversetzen lassen. Seiner Meinung nach muss sich die christliche Kirche zurückbesinnen auf die Grundlagen ihrer Lehre, um nicht weiter an Glaubwürdigkeit und Gläubigen zu verlieren.

In Ihrem Buch „Blindflug“ schildern Sie Ihre Zeit als Missionar im Kongo. Was hat Sie zu diesem Abenteuer motiviert, und wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Mankau: Es war eine lange Zeit der Vorbereitung. Aufgewachsen in einer sehr katholischen Familie in der Diaspora, in der man sich als Katholik noch von anderen abgrenzte, war es mein Wunsch, Priester und Missionar zu werden. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt mein Engagement bei den Pfadfindern. Ich wollte von Anfang an in die Mission, da ich davon überzeugt war, dass der Glaube in die Welt getragen werden müsse.

Als Sie Mitte der 1960er-Jahre nach Afrika kamen, waren viele der dortigen Staaten im Umbruch, um sich von den einstigen Kolonialmächten zu lösen. Wie haben Sie die damalige politische Situation erlebt, und was ist davon heute noch übrig?

Mankau: Als ich zum Kongo kam, befanden sich die einstigen Kolonien im Loslösungsprozess von den europäischen Mächten. Aber die von den Kolonialherren im 19. Jahrhundert zum Teil mit dem Lineal, ohne Rücksicht auf die dort lebenden Völker, gezogenen Grenzen blieben ein Tabu. Diese Grenzen wurden nur im Biafrakrieg infrage gestellt. Die neuen Herren Afrikas haben die Grenzen des Kolonialreiches, inklusive des ehemals belgischen Kongo, nicht angetastet.

Neben der Aufgabe als Seelsorger und Sekretär des Bischofs von Kenge waren Sie vor allem als Buschpilot tätig, der ein Gebiet von der Größe der Niederlande mit Lebensmitteln, medizinischer Hilfe und anderem versorgt hat. Wie sind Sie zu dieser Rolle gekommen, und welche Auswirkungen hatte diese auf Ihre Glaubensarbeit?

Mankau: Ich war mit Leidenschaft Pilot, kein Berufspilot, aber auch mit der gleichen Begeisterung Missionar. Fliegen habe ich in Deutschland gelernt. im Kongo musste ich mich jedoch anfangs auf ganz ungewohnte Bedingungen einstellen, etwa ohne Hilfe und Einweisung auf den vielen kleinen, selbst angelegten Flugplätzen zurechtzukommen. Deshalb rückte die eigentliche Missionsarbeit zunächst in den Hintergrund.

Nach der Unabhängigkeit garantierten die katholischen Missionare zwar weiterhin ein Schulwesen, stabilisierten so aber gleichzeitig das autoritäre System des damaligen Diktators. Welche Rolle spielte Ihrer Ansicht nach die Kirche im Kolonialismus, und wo lagen ihre Versäumnisse, aber auch Verdienste?

Mankau: Die Kirche am Kongo gehörte während der Kolonialzeit zu den stärksten Kräften im Land, nicht nur wegen des gut entwickelten Schulwesens, sondern auch im sozialen Bereich. Sie arbeitete eng mit der belgischen Kolonialregierung zusammen. Man würde das heute wohl eine Win-Win-Situation nennen. Diesen Einfluss versuchte die Kirche nach der Unabhängigkeit zu erhalten. Im Westkongo ging das einigermaßen problemlos vonstatten, doch dramatisch entwickelte es sich im Osten. Viele Kollaborateure der verhassten Kolonialisten wurden hier getötet, darunter auch zahlreiche Kirchenvertreter. Die Kirche hat es stets versäumt oder auch gar nicht gewollt, sich gegen egoistische, nationalistische oder auch unsoziale Machenschaften des Staates zur Wehr zu setzen. Dabei blieb die Kirche ihren eigenen Traditionen treu, trat in Konkurrenz zu anderen christlichen Kirchen auf und verursachte bei den Einheimischen Unsicherheit. Selbst der traditionelle Ahnenkult, wie es ihn bei vielen Völkern der Erde gibt, setze Gott zurück, warf mir der einheimische Generalvikar vor, als ich einem toten Freund die letzte Ehre erwies und auf sein Grab in der Savanne Palmwein goss, den er so oft mit mir getrunken hatte. Placide Tempels, ein belgischer Missionar, schrieb schon in der Kolonialzeit in seiner „Bantu-Philosophie“, dass es für den Afrikaner so etwas wie ein intellektueller Selbstmord sei, wenn er seine Tradition aufgeben muss.

Als Hauptproblem der immer größer werdenden Ballungszentren Afrikas und Wurzel der großen Fluchtbewegungen nach Europa sehen Sie die stetige Landflucht. Wie können diese Fluchtursachen tatsächlich bekämpft werden, und welche Aufgaben kann dabei die christliche Mission erfüllen?

Mankau: Ich weiß nicht, ob die christliche Mission hier wirklich helfen kann. Sie kann versuchen, die Landflucht zu bremsen und – wie bei uns die Mönche des Mittelalters – die Leute auf dem Land zu halten, indem sie ihnen zu einer geregelten Landwirtschaft verhilft und dies auch vorlebt. Ich glaube allerdings, dass die Fluchtbewegung Richtung Europa nur gestoppt werden kann, wenn jeder über Arbeit und ein Einkommen verfügt.

Ihre eigenen Erfahrungen und viele Gespräche mit anfangs hochmotivierten und zunehmend desillusionierten Missionaren ließen Sie zu einem scharfen Kritiker einer konservativen und opportunistischen Kirche werden. Was werfen Sie ihr vor, und wo könnte eine Lösung liegen?

Mankau: Die Kritik an der Kirche, die auf vielen Gesprächen mit gleichaltrigen Missionaren, damals vor 50 Jahren, beruht, bezog sich oft auf das zweite vatikanische Konzil, das uns einen Neuanfang versprach, auf den wir gewartet hatten, der aber nicht eintrat. Die Lösung für die heutigen Probleme der Kirche könnte darin bestehen, dass sie sich wieder auf die Grundlagen ihrer eigenen Lehre besinnt und sie auch lebt. Und diese Prinzipien sind am besten in der Bergpredigt formuliert. Doch solange es nur um Macht oder Machterhalt geht, sind diese Wünsche meiner Meinung nach nicht realisierbar. Und die Kirche wird weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.

Nach den persönlich wertvollen und prägenden Jahren in Afrika verließen Sie im Jahr 1972 den Missionsorden, der Sie auf diesen Weg geführt hat. Wie verlief Ihr weiterer Lebensweg, und was haben Sie aus dieser Zeit für die Zukunft mitgenommen?

Mankau: Ich habe an Weihnachten 1971 den Kongo verlassen, im folgenden Jahr stand die Rückversetzung in den sogenannten Laienstand an. Nach einer kurzen Zeit in einer Münchner Schule war ich fast 30 Jahre lang Leiter des Bildungszentrums Murnau, wo sich teilweise fast vierhundert Asylberechtigte aus vielen Ländern, deutsche Aussiedler und Kontingentflüchtlinge in Deutsch-Sprachkursen auf ein Hochschulstudium in Deutschland vorbereiteten. Die nicht immer freundliche Aufnahme dieses Personenkreises in meiner neuen Heimat, zum Teil hatten wir es mit fremdenfeindlichen Attacken oder Fensteraufklebern mit Sprüchen wie „Ausländer raus“ zu tun, erinnerten mich daran, dass ich selbst einmal Ausländer gewesen war. Im Kongo habe ich gelernt und erfahren, dass wir alle Menschen sind.

Zum Autor:
Bernward Mankau (geb. 1937) machte Abitur am Gymnasium Josephinum in Hildesheim und studierte Philosophie und Theologie in St. Augustin. Zum Französisch-Studium ging er nach Paris und Lyon, das Terziat absolvierte er in Rom. 1964 flog er zum ersten Mal für kurze Zeit zum Kongo und erlebte die großen Umbrüche in Afrika; er blieb dort insgesamt sechs Jahre lang. Nach der Zeit am Kongo war er Leiter des Bildungszentrums in Murnau am Staffelsee. Ausgedehnte Reisen führten ihn immer wieder nach Afrika und Südostasien.

Buch-Tipp:
Bernward Mankau: Blindflug. Meine Zeit als Missionar im Kongo. Verlag Herder, 1. Auflage 2020, Taschenbuch, 207 Seiten,
14,00 Euro (D) / 14,40 Euro (A), ISBN 978-3-451-03271-4

Link-Empfehlungen:
Zum Buch "Blindflug. Meine Zeit als Missionar im Kongo", Verlag Herder
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