Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS): „Als würde man seine Seele verlieren …“

„Fast jeder hat schon einmal von der Posttraumatischen Belastungsstörung gehört, doch die meisten denken dabei nur an Soldaten in Kriegsgebieten – dass eine PTBS nach jedem traumatischen Erlebnis auftreten, jeden von uns treffen kann und in einigen Berufsgruppen sogar weitverbreitet ist, ist den wenigsten bewusst. Unbehandelt kann sie zu schweren Folgekrankheiten führen; doch die gängigen Behandlungsmethoden setzen leider falsch an. Das Wichtigste ist, die mit dem traumatischen Erlebnis verbundenen Emotionen bewusst zuzulassen und auszuleben.“ Dr. med. Daniel Dufour, Begründer der erfolgreichen OGE-Methode und Autor u.a. des Buch-Ratgebers „Das Ende des Tunnels“, spricht im Interview über seine persönlichen Erfahrungen und seine wichtigen Erkenntnisse zur Posttraumatischen Belastungsstörung.

Millionen Menschen – darunter nicht nur Soldaten oder Kriegsflüchtlinge – leiden unter den Folgen traumatischer Erlebnisse. Welche Personen oder Berufe gehören zu den Risikogruppen für die sogenannte „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS)?

Dr. Dufour: Jeder Mensch, der direkt oder indirekt eine Naturkatastrophe erlebt (Überschwemmungen, Erdbeben, Brände …) oder Opfer von Gewalt wird (Krieg, Schläge, Vergewaltigung, Mobbing, Unfälle ...), kann zwei, drei Monate oder sogar Jahre später an einer PTBS erkranken. Bestimmte Berufsgruppen haben hier ein erhöhtes Risiko: Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute, Gefängniswärter, Zugführer, Ersthelfer oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen beispielsweise, aber auch Sozialarbeiter, Richter oder Anwälte, die sich Berichte von Gewalttaten anhören müssen, die ihre Klienten erlebt haben.

Trotz ihrer weiten Verbreitung wird die PTBS noch gar nicht lange als eigenes Krankheitsbild anerkannt. Seit wann spricht man überhaupt davon, und welche Kriterien führen zu einer entsprechenden Diagnose?

Dr. Dufour: Von der PTBS war zuerst in den 60er-Jahren die Rede, als die amerikanischen Soldaten aus dem Vietnamkrieg zurückkehrten. Damals sprach man von einer Angststörung, und die Betroffenen wurden unangemessen und unzureichend behandelt. Erst 2013 wurde die PTBS als eigenständige Erkrankung anerkannt. Vier übergeordnete Gruppen von Symptomen helfen bei der Diagnose:

• Wiedererinnern: Ein Betroffener durchlebt das Vorgefallene noch einmal teilweise oder komplett, beispielsweise in Alpträumen oder Flashbacks.

• Vermeidungsverhalten: Ein Betroffener tut alles, um sich nicht an den Orten oder in den gleichen Diskussionen oder Gesprächen wiederzufinden, die ihn an das traumatische Ereignis erinnern.

• Affektverflachung: Ein Betroffener blendet seine Emotionen aus, schaut pessimistisch in die Zukunft und fühlt sich losgelöst von den Menschen und Dingen in seiner Umgebung.

• Störungen des vegetativen Nervensystems: Dazu gehören beispielsweise Übererregung, Konzentrationsstörungen oder selbstgefährdendes bzw. selbstzerstörerisches Verhalten.

Sie haben bereits in Ihrer Autobiografie davon berichtet, selbst von einer PTBS betroffen gewesen zu sein. Wie kam es dazu, und wie ist es Ihnen gelungen, sie zu überwinden?

Dr. Dufour: Das ist eine lange Geschichte, die nur schwer mit wenigen Worten wiederzugeben ist. Ich habe als Chirurg in Kriegsgebieten gearbeitet, in Afrika, Asien und in Krisenregionen im mittleren Orient, vor allem in den 80er-Jahren. Ich musste als Chirurg aufhören, weil ich eine Art Sehnenentzündung im rechten Arm hatte, deren Ursachen zu diesem Zeitpunkt nicht klar waren, die sich aber als erstes Anzeichen der PTBS entpuppt hat. Erst durch die Behandlung meiner Patienten habe ich zum einen erkannt, woran ich litt, und zum anderen, wie man von dieser Erkrankung genesen kann. Daher kommt auch die OGE-Methode, die ich vor 21 Jahren begründet habe. Von all dem berichte ich in meiner Autobiographie „J'ai failli y laisser mon âme“, auf Deutsch etwa „Ich hätte dabei fast meine Seele verloren“ ...

In den Medien und sogar von Medizinern wird die Erkrankung häufig unterschätzt. Was sind die Gründe dafür, und an wen sollten sich Betroffene wenden?

Dr. Dufour: Diese schwere Erkrankung wird häufig verkannt, denn sie ist, wie schon gesagt, in medizinischen Fachkreisen erst seit wenigen Jahren anerkannt. Außerdem behandelt die Schulmedizin zu häufig nur die Symptome und sucht nicht nach den Ursachen in der Vergangenheit des Patienten. Ein Mensch, der als Kind geschlagen wurde, kann beispielsweise Jahrzehnte an einer PTBS leiden, die sich durch Depressionen oder chronische Rückenschmerzen äußert. Die Medizin kann diese Symptome behandeln, es wird aber nicht auf Dauer funktionieren, weil die Ursache (die als Kind erlittene Gewalt) weder erkannt noch behandelt wird.

Die Medien dagegen interessieren sich sehr für die Sensationen (Attentate, Unfälle, Überschwemmungen). Aber sobald die Berichterstattung stattgefunden hat, fragen sie nicht nach dem mittel- und langfristigen Schicksal der Opfer oder der Helfer (Polizisten, Feuerwehrleute, Ersthelfer etc.). Und erst recht nicht nach denen, die es miterlebt haben. Außerdem möchten die Berufsstände (Polizei, Feuerwehr, Armee, Hilfsorganisationen) nicht über die schweren Spätfolgen sprechen, unter denen ihre Leute leiden. Und da die Behandlungserfolge mit klassischen Therapien sehr bescheiden sind, ermutigt das weder die Ärzte noch die Presse oder die Berufsstände, besonders viel zu dem Thema zu sagen.

Sie unterscheiden zwischen der Auffassung einer Krankheit als „Verhängnis“ und der Krankheit als „Botschaft“. Was zeichnet diese beiden Ansätze aus, und welche Rolle spielt der Therapeut dabei?

Dr. Dufour: Der herkömmliche Ansatz begreift eine Krankheit als Verhängnis, das den Patienten befällt – in Form von Viren, Bakterien oder entarteten Zellen –, ohne dass man den Grund dafür kennt. Der Körper ist folglich eine Art Feind, und man kämpft mit anti-viralen, anti-bakteriellen oder anti-entzündlichen Medikamenten gegen die Symptome an. Der Therapeut ist derjenige, der das Medikament „verschreibt“. Er hat die Macht, denn er ist im Besitz des Wissens. Der Patient dankt dem Therapeuten, weil der ihm die Behandlung hat zukommen lassen. Er erfährt nichts darüber, was ihm zugestoßen ist, und steht auch danach genauso unwissend da wie vor der Erkrankung.

Begreift man eine Krankheit hingegen als „Botschaft“, steht der Patient im Mittelpunkt, und sein Körper ist Träger einer Information. Ihm wird mitgeteilt, dass er sich gerade nicht respektiert, was zu Anspannung führt. Bleibt diese Anspannung bestehen, führt das zu einem Rückgang der Wirksamkeit seiner Immunabwehr. Folglich machen Viren, Bakterien oder entartete Zellen den Körper des Patienten krank. Der Therapeut hilft dem Patienten zu begreifen, was sein Körper, der sein bester Freund ist, ihm zu sagen versucht. Der Patient verfügt als einziger über die Macht, sich zu heilen, sobald er sich wieder Respekt entgegenbringt. Er lernt so aus seiner Erfahrung, und das ermöglicht ihm, im Leben voranzukommen.

Aus Ihren eigenen Erfahrungen und aufgrund der Unzulänglichkeit herkömmlicher Behandlungsmethoden haben Sie einen eigenen ganzheitlichen Ansatz entwickelt. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei PTBS, und wie unterscheidet sich Ihre OGE-Methode davon?

Dr. Dufour: Konventionelle Methoden basieren auf dem Prinzip, dass es zu einer PTBS kommt, weil das Gehirn bei den Betroffenen im Hinblick auf den Umgang mit der traumatischen Erinnerung dysfunktional ist. Diese Vorstellung entstammt dem materialistischen Ansatz, bei dem es sich um ein Dogma handelt (was bedeutet, dass es noch nicht bewiesen ist). Die Behandlung zielt auf die Symptome und nicht auf die Ursachen. Folglich ist sie unzureichend, ja sogar wirkungslos.

Einem Trauma-Opfer stehen drei automatische Reaktionen zur Verfügung, die nicht vom Gehirn gesteuert werden: Flucht, Angriff oder Erstarren; zusätzlich verspürt das Opfer bewusst oder unbewusst eine große Wut. Die Anspannung, die sich aus der Unterdrückung dieser Wut ergibt, ist verantwortlich für die Symptome, an denen das Opfer leidet. Die OGE-Methode ermöglicht es Betroffenen, diese Wut wiederaufleben zu lassen, sie zu spüren und schließlich zum Ausdruck zu bringen. Dadurch können sie sich entspannen, ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden und geheilt werden. Auf dem Papier liest sich das ganz einfach, ist aber in der Realität komplizierter. Doch man kann es allein oder in Begleitung machen.

Mittlerweile ist es üblich geworden, dass Opfer und Zeugen nach Attentaten, Naturkatastrophen oder Unfällen psychologisch bzw. seelsorgerisch betreut werden. Sind diese Kriseninterventionsmaßnahmen dazu geeignet, die Ausprägung einer PTBS zu verhindern, oder gibt es andere Möglichkeiten der Prävention?

Dr. Dufour: Die Maßnahmen, die den Opfern zur Verfügung gestellt werden, sind nicht ausreichend, denn es wird nicht genug Rücksicht genommen auf die ganz normalen Emotionen der Opfer. Bei den meisten Ansätzen wird viel gesprochen, man will die emotionale Reaktion der Opfer „einordnen“, statt sie zu ermutigen, ihre Gefühle einfach auszuleben. Dabei geht es nur darum, ihnen zu sagen, dass sie nicht gegen ihre Emotionen ankämpfen müssen. Ganz im Gegenteil: Sie sollen einfach herausgelassen werden. Entweder macht man das allein oder in Begleitung eines Therapeuten, der speziell dafür geschult ist, und zwar so schnell wie möglich nach dem traumatischen Vorfall.

Buch-Tipp:
Dr. med. Daniel Dufour: Das Ende des Tunnels - Posttraumatische Belastungsstörungen erkennen und überwinden. Die OGE-Methode. Mankau Verlag 2019, Klappenbroschur, 13,5 x 21,5 cm, 190 Seiten, 16,95 Euro (D) / 17,50 Euro (A), ISBN 978-3-86374-493-9.

Link-Empfehlungen:
Mehr Informationen zum Buch "Das Ende des Tunnels. Posttraumatische Belastungsstörungen erkennen und überwinden"
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